I. ReizkampfstoffeII. Lungenschädigende Kampfstoffe
Kampfstoffverletzungen
A. Kampfstoffe
II. Lungenschädigende Kampfstoffe

1. Chemische Angaben.

13. Zu dieser Kampfstoffgruppe werden gerechnet:

2. Wirkung

14.

Die Wirkung setzt sich zusammen aus unmittelbar durch die Kampfstoffe selbst her-vorgerufenen Erscheinungen und aus den Folgen der Kampfstoffschädigungen.

  Die unittelbaren Wirkungen sind
  a)

Reizung der Augenbindehaut und der Schleimhaut der oberen Atem-wege,

  b) Schädigung des Lungengewebes mit Störung der Atmung,
  Die mittelbaren Wirkungen bestehen in
  c)

Veränderungen der Blutzusammensetzung, des Kreislaufes und einer darauf be-ruhenden Schädigung anderer Organe.

15.

Die Augenbindehaut und die Schleimhaut der Nase und oberen Atemwege werden von den angeführten Kampfstoffen nicht in gleicher Weise gereizt. Chlorpikrin wirkt z.B. am stärksten auf die Schleimhäute der Augen. Da andererseits Chlorpikrin hin-sichtlich der tödlichen Wirkung nur etwa den sechsten Teil der Giftigkeit von Phos-gen hat, ist Chlorpikrin unter durchschnittlichen Feldbedingungen viel mehr zu den Augenreizstoffen als zu den lungenschädigenden Kampfstoffen zu rechnen. Phosgen kann dagegen zu tödlichen Lungenschädigungen führen, ohne daß die Reiz- und Entzündungsschädigun-gen an der Augenbindehaut und an der Schleimhaut des Ra-chens besonders ausgeprägt sind. Die kleinsten noch schädigenden Konzentrationen von Phosgen und Perstoff können aber durch den Geruch wahrgenommen werden. Bei Chlor ist die Reizwirkung auf Nase und Rachen sehr deutlich, etwas weniger bei Perstoff.

16.

Bei hohem Kampfstoffgehalt der Luft, besonders von Chlor, kann es auch auf der äußeren Haut an empfindlichen Stellen (Gesicht, Nacken, Achselhöhlen, Schamfal-ten) zu Rötung und Entzündung kommen.

17.

Bei höherem Kampfstoffgehalt der Luft bewirkt Chlorpikrin sehr häufig Erbrechen; der Kampfstoff wurde daher von den Engländern "vomiting gas" = Brechgas ganannt.

18.

Nach Einatmung größerer Kampftsoffmengen beherrschen die Lungenschädigungen das Krankheitsbild. Die an den sonstigen Organen auftretenden Krankheitserschei-nungen entwickeln sich erst in Abhängigkeit davon. Art und Stärke der Lungenschä-digung hängen vom Kampfstoffgehalt der Luft ab.

 

Sehr hoher Gehalt der Luft an Phosgen oder Perstoff verursacht Verätzung der Lun-genschleimhaut durch Säureabspaltung, Bronchialmuskelkrampf, Behinderung des Lungenkreislaufs, Zerstörung des Blutes unter Hamatinbildung, auch Herzstillstand. Der Tod tritt rasch – fast augenblicklich – ein, so daß ein Lungenödem meist gar nicht entsteht.

 

Bei sehr hohem Gehalt der Luft an Chlorpikrin, wie er unter Feldbedingungen nur sel-ten vorkommen wird, kann nach dem rasch eintretenden Tod Braunfärbung der Lun-ge durch Methämoglobin beobachtet werden.

19.

Verdünnte Kampfstoff-Luftgemische, wie sie im Felde meist vorkommen, bewirken in der Lunge eine Entzündung, die mit einer sehr reichlichen Ausschwitzung seröser Blutflüssigkeit in die Lungenbläschen einhergeht. Die Lunge füllt sich größtenteils mit Flüssigkeit (akutes toxisches Lungenödem).

20.

Das Lungenödem hat eine Beeinträchtigung der Atmung zur Folge. Die Möglichkeit zu tiefer Atmung wird mit zunehmendem Lungenödem verschlechtert. Der Geschädigte atmet häufiger, um das Bedürfnis nach Sauerstoff zu befriedigen.

 

Das Herz kann bei zunehmender Verschlechterung der Sauerstoffversorgung schon normalen Anforderungen nur schwer entsprechen, erst recht nicht den gesteigerten Anforderungen, die durch die Durchblutungsstörungen der Lunge gegeben sind. Aus-serdem dickt sich das Blut infolge des hochgradigen Lungenödems stark ein. Da-durch erhöht sich die innere Reibung (Viskosität) des Blutes, so daß das Herz noch mehr beansprucht wird. Es kommt zu schweren Störungen im ganzen Kreislauf.

3. Vergiftungsbild.

21.

Das Krankheitsbild entwickelt sich nach Einatmung verdünnter Kampfstoffgemische langsam, meist im Laufe von 4 bis 8 Stunden (höchstens 48 Stunden). Auch wenn Krankheits-, insbesondere Reizerscheinungen, anfangs fehlen, so kann doch eine Kampfstoffvergiftung eingetreten sein.

22.

In leichten Fällen treten vorübergehend Schmerzen in der Brust auf. Oft besteht noch einige Tage ein ausgebreiteter, mehr oder minder hartnäckiger Bronchialka-tarrh.

23.

In schwereren Fällen treten schon früh – bereits innerhalb 2 bis 3 Stunden – erns-tere Krankheitserscheinungen auf; nicht selten setzen sie schlagartig ein. Die Kran-ken zeigen zunehmend Atemnot, jammern und stöhnen, ringen nach Luft und werfen sich ruhelos umher. Die Atmung wird auf 40 und mehr Atemzüge in der Minute be-schleunigt. Die Hautfarbe wird blaurot bis zur stärksten Blausucht. Aus Mund und Nase fließt zwetschgenbrühartige, schaumige Flüssigkeit. Das Bewußtsein ist meist ungetrübt. Der Puls ist beschleunigt (100 bis 130 in der Minute) und gut gefüllt.

 

In anderen, besonders bedrohlichen Fällen überwiegt eine fahlgraue Färbung der Haut. Der Kranke fühlt sich kalt an (kalter Schweiß). Der Puls ist stark beschleunigt und weich. Hier deutet der Befund auf Versagen des Kreislaufes hin (Kollaps).

24.

Befund beim Beklopfen: Lungengrenzen erweitert, nur geringfügige Verschiebung der Grenzen nach oben bei der Ausatmung; absolute Herzdämpfung häufig verschwun-den.

 

Befund beim Abhorchen: auffallend lange Zeit ohne Besonderheiten. Erst bei hoch-gradiger Anfüllung der Lungen ausgebreitetes, feinblasiges Ödemrasseln, daneben bronchitische Rasselgeräusche.

25.

Das Lungenödem kann in kurzer Zeit tödlich enden (80% der Todesfälle innerhalb der Zeit von 4 Stunden bis 4 Tagen nach Einwirkung). Es kann sich jedoch auch wieder zurückbilden (allmählicher Rückgang der Krankheitserscheinungen). Beobach-tung des Pulses und der Atemfrequenz ist wichtig für die Beurteilung des Verlaufs.

26.

Auf Höhe der Erkrankung kommt es in den Randgebieten der Lunge zu übermäßiger Aufblähung der noch luftgefüllten Lungenbläschen (Lungenblähung). In einzelnen Fällen erfolgt Luftaustritt in das interstitielle Gewebe der Lunge, in das Mediastinum und sogar unter die Haut des Halses (Pergamentknistern der Haut).

27.

Die Körperwärme kann regelrecht bleiben. Oft ist sie auf 38° und mehr erhöht. Im Stadium des Kollapses ("Grausucht") ist sie erniedrigt.

28.

Bisweilen stellt sich am zweiten oder dritten Tag nach vorübergehender Besserung eine Bronchopneumonie ein. Schwerer sind akute Lungenentzündungen zu bewer-ten, welche, mit hohem Fieber einhergehend, meist die Unterlappen befallen und an ausgebreiteten Dämpfungen mit Bronchialatmen, klingendem Rasseln und rostfarbe-nem Auswurf erkennbar sind. Selten folgen trockene, feuchte oder auch eitrige Rip-penfellentzündungen.

29.

Der Zustand des Herzens ist ein vorzüglicher Gradmesser für die Schwere der Er-krankung.

30.

Mit der Zunahme des Lungenödems treten Blutumlaufstörungen an verschiedenen Körperstellen auf (Gedunsenheit im Gesicht, Stauungen, Nierenblutung u.a.). Be-schwerden am Verdauungskanal sind gelegentlich von Anfang an vorhanden, ebenso Störungen des Nervensystems (Schwindel, Kopfschmerz, Verwirrung). Stärkere psy-chische Störungen sind jedoch selten.

31.

Der Harn enthält vorübergehend Eiweiß, oft auch rote Blutkörperchen. Der Hämo-globingehalt des Blutes steigt mit Zunahme des Lungenödems und fällt bei dessen Aufsaugung wieder ab.

4. Erkennung der Vergiftung.

32.

Am schwierigsten zu beurteilen sind diejenigen Geschädigten, die nach einem Gas-angriff ohne erkennbare Krankheitsanzeichen sich krank melden. Man darf die kei-neswegs aus den Augen lassen, weil auch Schwervergiftete oft anfangs keine oder nur geringe Erscheinungen aufweisen. Im allgemeinen genügt Beobachtung von 6 bis 12 Stunden, da die erste Krankheitserscheinung nur ausnahmsweise später auftre-ten und nachweisbar sind.

33. Anhaltspunkte für Früherkennung sind:
  Vorgeschichte,
  Geruch der Kleider nach Kampfstoff,
  Gesichtsfarbe (Blässe oder beginnende Blausucht),
  Kopfschmerz,
  Hustenreiz,
  Beschleunigung der Atmung,
  auffallende Pulsbeschleunigung,
  herabgesetzter Blutdruck,
  Temperatursteigerung,
  Reizerscheinung an den zugänglichen Schleimhäuten,
  Schwellung des Zäpfchens und besonders nach Ein-
wirkung von Chlor
  der Gaumenschleimhaut
  Bindehautentzündung
  Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle u. andere Darmstörungen,
  Appetitlosigkeit, großer Durst,
  Druckgefühl auf der Brust,
  Störungen des Geruch- und Geschmacksinnes,
  lang andauernde Empfindung des Phosgengeruches,
  Unlust zu rauchen, schlechter Geschmack beim Tabakrauchen.
 

Einzelne Krankheitserscheinungen sind nicht beweisend, erst mehrere sprechen ge-meinsam mit dem Gesamteindruck für eine Kampfstoffverletzung, immerhin kann und soll aber jede Abweichung von der Norm ein Warnzeichen zur Vorsicht sein.

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