III. Blut- und nervenschädigende KampfstoffeIV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe
Kampfstoffverletzungen
A. Kampfstoffe
IV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe
79.

Die Hauptvertreten sind:

a) Dichlordiäthylsulfid (Lost)

1. Chemische Angaben.

80.

In reinem Zustand ist Lost farblos, das technische Produkt ist eine dunkelbraune, ölige Flüssigkeit. Schwerlöslich in Wasser (bei gewöhnlicher Temperatur etwa 1 : 1000), wenig löslich in Glyzerin und mineralischen Fetten (Paraffin, Vaseline), leicht löslich in tierischen und pflanzlichen Fetten und zahlreichen organischen Lö-sungsmitteln, wie Alkohol, Äther, Chloroform, Tetra-chlorkohlenstoff, Benzin, Petro-leum, Benzol. In Wasser gelöster Kampfstoff wird rasch in ungiftige Verbindungen zersetzt (Hydrolyse).

 

 

Durch Zusatz von Alkalien und Erwärmung kann Lösung und Zersetzung in Wasser erheblich beschleunigt werden. Oxydationsmittel, z.B. Hypochlorite wie Chlorkalk, reagieren ernergisch unter Wärmeentwicklung mit Lost, der dabei in ungefährliche Verbindung umgesetzt wird. Wegen der geringen Löslichkeit sind Losttropfen bei Ge-genwart von Wasser verhältnismaßig lange haltbar; auch in Wasser gelöste Oxyda-tionsmittel wirken hier nur langsam zerstörend.

 

Bei winterlichen Temperaturen ist die Flüchtigkeit des Kampfstoffes gering; mit stei-gender Temperatur nimmt die Flüchtigkeit sehr rasch zu, bei Sonneneinstrahlung im Sommer ist sie daher erheblich und führt zu rascher Verdunstung des Kampfstoffes.

 

Flüssiger Lost hat die Fähigkeit, Kleiderstoff zu durchdringen und dann seine unge-schwächte Wirkung wie auf der ungeschützten Haut zu entfalten; hinzu kommt in solchen Fällen noch eine ausgedehnte Dampfwirkung infolge des unter dem Tuch verdunstenden Kampfstoffes. Lost, der im Gelände, an Pflanzen und Gegenständen oder an der Kleidung haftet, ist eine erhebliche Gefahrenquelle bei Berührung und durch Übertragung. Dies gilt auch für Lost, der mit der Kleidung in Unterkünfte und Unterstände verschleppt wird. Das Leder von Stiefeln, das mit mineralischen Fetten gut gepflegt ist, wird von dem Kampfstoff weniger durchdrungen. Schlecht gepfleg-tes und ausgetrocknetes Stiefelleder wird von dem Kampfstoff rasch durchdrungen.

 

Je nach den Verunreinigungen, die von der Herstellung herrühren, ist der Geruch von Lost verschieden. Völlig reine Präparate riechen nur schwach lauchartig.

 

Bei winterlichen Temperaturen ist Lost fest, hierdurch ist seine Anwendung er-schwert. Durch Zusätze können aber Mischungen hergestellt werden, die auch bei starkem Frost noch flüssig bleiben (Winterlost). Im Weltkrieg 1914/ 18 wurden als Zusatz organische Lösungsmittel wie Chlorbenzol verwendet. Es ist aber auch damit zu rechnen, daß unsere Gegner aus gleichen Gründen Kampfstoff zusetzen, z.B. Le-wisit. Durch derartige Zusätze kann sich der Geruch wesentlich von dem des ge-wöhnlichen Lostes unterscheiden, unter Umständen kann der Lostgeruch überhaupt verdeckt werden, z.B. durch Zusatz von Anthrazenöl.

 

Es ist auch damit zu rechnen, daß der Gegner den Lost durch Zusätze in einen halb-festen Zustand überführt, um die Beständigkeit des Kampfstoffes im Gelände zu er-höhen. Es können hierbei teigartige, klebrige Massen vorliegen (Zählost).

 

Die Wirkung und das Krankheitsbild kann infolge der Zusätze von dem benannten Bild abweichen.

2. Wirkung.

81.

Lost ist als Zell- und Kapillargift anzusehen. Die von ihm betroffenen Zellen verfallen einen siechtumartigen Zustand (Pathobiose) und schließlich dem völligen Gewebstod (Nekrose). Die Kapillaren werden gelähmt. Mit einer "Ätzung" – etwa wie durch Säu-ren – kann die Lostwirkung nicht gleichgesetzt werden. Die Schädigung durch Lost hat vielmehr in mancher Hinsicht Ähnlichkeit mit Strahlenschädigung.

82.

Geschädigt durch Lost als Dampf oder Flüssigkeit werden alle Körperteile, mit denen der Kampfstoff unmittelbar in Berührung kommen kann; es sind als gefährdet die Haut, die Augen und alle zugänglichen Schleimhäute, besonders die der At-mungswege und das respiratorische Epithel.

 

Der Kampfstoff ist bis zu einem gewissen Grade resorptiv wirksam, er besitzt daher auch eine mittelbare Wirkung auf die inneren Organe und den Stoffwechsel.

83.

Besonders auffälig in dem Wirkungsbild ist – auch unter Feldbedingungen – die star-ke Mitbeteiligung der Haut.

 

Je nach Art der Kampfstoffverwendung durch Verschießen, durch Bomben, durch Minen, durch Versprühen aus Sprühgeräten oder Abgießen vom Flugzeug aus und je nach den getroffenen Schutzmaßnahmen steht die Gefährdung der Haut, Augen oder Atemwege und Lungen im Vordergrund. Jedoch beschränkt sich die örtliche Wirkung nicht auf eines der genannten Organe, sondern die Haut, die Augen und Atemwege sind oft gleichzeitig, wenn auch meist in verschiedenem Grade beteiligt.

 

Durch dampfförmigen Kampfstoff treten erfahrungsgemäß zahlreichere Schädigungen auf als durch flüssigen Kampfstoff.

84.

Die ersten Krankheitsanzeichen äußern sich meist erst nach einer mehrstündigen beschwerdefreien Zeit (Latenzzeit). Selbst hohe Konzentrationen werden ohne so-fortige Reizung der oberflächlichen Sinnesnerven ertragen. Benetzung der Haut durch den flüssigen Kampfstoff wird oft kaum bemerkt.

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