IV. Haut- und schleimhautschädigende KampfstoffeIV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe
Kampfstoffverletzungen
A. Kampfstoffe
IV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe

3. Vergiftungsbild.

85.

Das Krankheitsbild durch Lost wird beherrscht durch heftige Entzündung der Haut, der Augen und der Atemwege.

86.

Die Erkrankung der Haut nach Einwirkung von Lost ist sehr vielgestaltig und hängt in ihrer Schwere von der Menge des Giftstoffes, der Art und Dauer seiner Einwirkung sowie der Empfindlichkeit der Haut ab.

87.

Besonders empfindlich sind schwitzende Hautstellen (Achselhöhlen, Schamfalten, Geschlechtsteile), auffallend wenig empfindlich sind Handinnenflächen und Fußsohle. Schädigung der Geschlechtsteile durch Übertragung des Kampfstoffes durch Hände, die selbst ungeschädigt bleiben, ist möglich.

88.

Die erste Erscheinung, die nach Einwirkung des flüssigen Kampfstoffes im allgemei-nen nach 2 – 6 Stunden auftritt, ist gewöhnlich eine entzündliche, selten scharf be-grenzte Rötung, die von geringer Schwellung begleitet zu sein pflegt und in man-chen Fällen mit schmerzhaften Brennen oder Jucken verbunden ist. In leichten Fäl-len und bei rechtzeitiger vorbeugender Behandlung (Entgiftung) innerhalb der ersten Minuten nach Kampfstoffeinwirkung verschwinden diese Erscheinungen im Laufe we-niger Tage, wobei sie keine besonderen Spuren oder höchstens Braunfärbung der Haut zurücklassen.

89.

Nach Einwirkung von verdunstetem (gasförmigen) Lost, besonders bei sommerlichen Temperaturen, kann es ebenfalls zur Rötung, später Braunfärbung (Pigmentbildung) empfindlicher Hautstellen (vergl. Ziff 87) kommen. Lostdämpfe können weiterhin auch zu Infiltrierung der Haut, Abschilferung und schubweisem Abstoßen in Fetzen führen.

 

Durch Einwirkung feintropfiger Schwaden kann die Bildung zahlreicher kleiner Bläs-chen hervorgerufen werden, die meist rasch und ohne besondere Folgen heilen.

90.

Typisch ist der schwere und langwierige Verlauf nach Einwirkung des flüssigen Kampfstoffes. Die entzündlichen Erscheinungen, Rötung, Schwellung und Schmerz-empfindung steigern sich mehr und mehr. Im Verlauf von 1 bis 2 Tagen bilden sich Blasen, die sich prall mit zunächst klarer, seröser, bald aber trüber zellhaltiger und leicht gerinnbarer Flüssigkeit füllen. Bei größeren Kampfstoffmengen kommt es zur Ausbildung eines perlschnurähnlichen Bla-senkranzes um einen anämischen Bezirk herum. Nach dem Platzen der Blasen kann unter Borken- und Krustenbildung Heilung unter dem Schorf erfolgen. Vielfach entstehen nässende, schmierige, stark schmer-zende Wunden, die zu weiterer Ausdehnung neigen. Erst allmählich schiebt sich neue Haut vor, es kommt nach Abstoßen von nekrotischem Gewebe oft erst nach Wochen zur Heilung. Falls Infektion hinzukommt, wird die Heilung verzögert.

91.

Der Inhalt der Hautblasen enthält keinen Kampfstoff mehr, ist also nicht giftig.

92.

Die nach Heilung neugebildete Haut ist anfänglich nur selten von normaler Beschaf-fenheit. Fast regelmäßig sind Pigmentanomalien vorhanden. Die neugebildete Haut schupt oft für längere Zeit mehr oder weniger stark; Narben jucken meist stark. Das Auftreten von Follikulitiden und Furunkulose scheint durch Gelbkreuschädigungen begünstigt zu werden.

93.

Eine Gesetzmäßigkeit des Verlaufes besteht nicht. Neben den örtlichen Vorgängen, die insbesondere die empfindlichen Hautteile an Achselhöhlen, Schamfalten, bevor-zugen, ist bei größerer Wundausdehnung mit erheblichen Allgemeinstörungen (Fie-ber, Magen-Darm-Erscheinungen, Leberschädigungen) zu rechnen.

94.

Bei Erkrankung des Auges treten nach mehrstündiger beschwerdefreier Zeit Licht-scheu, Sandkorngefühl und Tränenfluß, Druckschmerz in den Lidern und im Kopf auf. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine mehr oder minder starke Bindhautentzün-dung oft mit sehr starker Schwellung der Lider, eitriger Absonderung und konjunkti-valer, in manchen Fällen auch ziliarer Injektion.

 

Oft kommt es zur Trübung der Hornhaut, die aber meist ohne Dauerbeschädigung nach einigen Tagen wieder zurückgeht.

 

In schweren Fällen, namentlich beim Eindringen von flüssigem Kampfstoff, kann die Hornhaut durch geschürige Prozesse teilweise zerstört werden. Hornhautnarben mit mehr oder weniger starker Beinträchtigung der Sehfähigkeit, seltener völliger Verlust des Augenlichtes sind die Folgen.

95.

Die oberen Atemwege sind bei Lostdampfvergiftung im Gegensatz zu den durch an-dere Kampfstoffe hervorgerufenen Erkrankungen stärker und häufiger angegriffen als die Lungen selbst.

 

Die ersten Anzeichen sind entzündliche, katarrhahsche Erscheinungen im Rachen, Kehlkopf und Bronchialbaum. Bei schwachen Vergiftungsgraden ist ein langwieriger, besonders nach quälender, trockener Husten die einzig störende Krankheitserschei-nung. Bei stärkerer Vergiftung kommen Heiserkeit, Schluckbeschwerden, Atembe-schwerden dazu. Neben der Rötung und Schwellung der Schleimhäute in Nase, Ra-chen und Kehlkopf zeigen sich in schweren Fällen pseudomembranöse Auflagerun-gen.

 

Zwei Gefahren drohen hier: Ausdehnung der Vergiftung in den Bronchialbaum hinab bis in die Lungenbläschen und weiter die Infektion. In beiden Fällen kann der Zu-stand sehr gefährlich werden. Schwere pseudomembranöse Veränderungen in den oberen Atemwege können durch Verschluß der Bronchien zu Atemnot und Erstik-kungsanfällen führen. Lungenentzündung, Lungenödem und Lungengangrän können sich entwickeln.

 

Im allgemeinen treten Todesfälle erst nach längerer Zeit, oft Wochen, auf. Die Wie-derherstellung erfolgt oft erst nach Monaten.

96.

Nach der Einwirkung von Schwaden hohen Lostgehaltes kommt es auch oft rasch zu Lungenödem, das nach wenigen Tagen zum Tode führen kann.

97.

Magen-Darm-Erscheinungen, wie Leibschmerzen, Brechdurchfall, spastische Ver-stopfung, sind häufig. Die Kranken nehmen auffallend an Gewicht ab.

 

Bei unmittelbarer Aufnahme des Giftes in den Magen-Darmkanal durch vergiftete Nahrungsmittel zeigt sich das Bild eines schwachen hämorrhagischen Magen-Darm-katarrhs.

98.

Zu den beschriebenen örtlichen Schädigungen tritt deutlich das Bild resorptiver Schäden, wenn größere Kampfstoffmengen durch Einatmung oder durch die Haut hindurch aufgenommen wurden. Dies äußert sich im Blut besonders durch Absinken der Zahl der weißen Blutkörperchen, in schweren Fällen bis zur hochgradigen Leuko-penie; toxische Granulierungen der Leukocyten können auftreten. Weiterhin kann es zu Kreislaufstörungen kommen, die den Tod infolge Lähmung des Vasomotorenzen-trums zur Folge haben können.

 

Bei oftmaliger Einwirkung des Kampfstoffes, auch kleiner Mengen, kann sich ein der Neurasthenie ähnliches Krankheitsbild entwickeln, auch kann eine Steigerung der in-dividuellen Empfindlichkeit gegenüber dem Kampfstoff sich in unverhältnismäßig star-ken Krankheitserscheinungen äußern.

99.

Der Ablauf der Erscheinungen bei Einwirkung von Lostgemischen (vergl. Ziffer 80) kann gegenüber dem Vergiftungsbild nach Einwirkung von reinem Lost erheblich ver-ändert sein. So treten die beschriebenen Erscheinungen an Haut und Schleimhaut bei Einwirkung von Lost-Lewisitgemischen sehr viel rascher auf, z.B. innerhalb weni-ger Stunden starke Schwellungen der Haut.

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