IV. Haut- und schleimhautschädigende KampfstoffeIV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe
Kampfstoffverletzungen
A. Kampftsoffe
IV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe

4. Behandlung.

100.

Die Behandlung der Schädigungen durch Lost ist entsprechend den im Vordergrung stehenden örtlichen Vergiftungserscheinungen zunächst eine örtliche, d.h. die Be-handlung erstreckt sich auf die in erster Linie betroffenen Körperteile, also auf Haut, Augen, obere Atemwege und Lungen.

 

Bei der Behandlung der Haut nach Aufnahme des Kampfstoffes ist zu unterscheiden:

  a)

Vorbeugende Behandlung: Diese spielt praktisch nur kurz nach Benetzung der Haut eine Rolle. Durch geeignet Maßnahmen wird versucht, den Kampfstoff, so-weit er noch nicht in die Haut eingedrungen ist, unschädlich zu machen.

   

Durchführung der Hautentgiftung durch den Vergifteten selbst, durch Kamera-den oder durch Krankenträger und Sanitätspersonal.

  b) Behandlung der bereits eingetretenen Schädigungen durch den Arzt.
101.

Zur vorbeugenden Behandlung bei Vergiftung der Haut sind geeigent:

  1.

Mittel, die auf chemischen Wege den Kampfstoff unwirksam machen:

   

Oxydationsmittel, wie Chlorkalk, Losantin (Chlorkalkpräparat), Chloramin.

  2. Mittel, die auf physikalischem Wege den Kampfstoff entfernen:
    a)

wäßrige Lösung von Seife (Sehmerseife, MS-Seife) oder von Emulgierungs-mitteln (Satina, Praecutan). Diese Mittel bewirken in geringem Grade auch eine chemische Entgiftung.

    b) Organische Lösungsmittel.
102.

Die Hautentgiftung mit den für die Truppenausstattung vorgesehenen Hautentgif-tungsmitteln wird in folgender Weise (a oder b) durchgeführt:

  a)

Die in einem Taschenbehälter mitgeführte Hautentgiftungssalbe ist eine gelee-artige, sofort verwendungsbreite Masse, die nach der auf den Behälten ange-brachten Anweisung nach vorherigem vorsichtigen Abtupfen – nicht Abreiben – der betroffenen Hautstelle mit Zellstoff, trockenem Mull oder sonstigen Läpp-chen durch Druck auf den Taschenbehälter entnommen dünn aufgetragen und fünf Minuten eingerieben wird. Dann kann sie wieder entfernt werden. Sie kann aber auch im Gegensatz zu Losantinbrei ohne Schaden für die Haut erst nach Stunden abgewaschen werden.

  b)

Die in den Packungen Hautentgiftungsmittel enthaltenen Losantintabletten wer-den durch Zerdrücken und Anrühren mit etwa der gleichen Menge Wasser (Feldflascheninhalt u. dergl., nicht Öl, nicht Alkohol) in der hohlen Hand zu einem Brei verrührt. Dieser wird nach vorherigem trockenem Abtupfen (s. unter a) auf die vergiftete Stelle aufgetragen und mehrfach leicht verrieben. Nach zehn Minuten wird der Brei, wenn möglich mit Wasser, entfernt und zweckmäs-sig, aber nicht unbedingt nötig, Vaseline, Borsalbe oder ein ähnlicher Hautkrem auf die Hautstelle aufgetragen. Muß Losantinbrei im Winter im Freien angerührt werden, so soll hierzu nicht angewärmtes Wasser, sondern die dreifache Menge Schneewasser verwendet werden; andernfalls wird der Brei bei nachfolgender Abkühlung zu steif.

103.

Da der Kampfstoff mehr oder weniger rasch in die Haut eindringt, muß die Hautent-giftung so schnell wie möglich nach Vergiftung durchgeführt werden. Erfolgt Entgif-tung innerhalb von fünf Minuten nach Vergiftung, so wird Blasenbildung meist ver-mieden, auch nach zehn Minuten ist noch mit erheblicher Abschwächung zu rech-nen. Nach 15 bis 20 Minuten wird die Wirksamkeit der Hautentgiftungsmittel auch bei geringfügigen Vergiftungen unsicher.

 

Sind Hautvergiftungsmittel nicht vorhanden, so kann auch das Waffenentgiftungs-mittel verwendet werden.

 

Sind Wunden und ihre Umgebung durch Lost vergiftet, so ist durch den Verletzten als Selbsthilfe möglichst innerhalb 15 Minuten die Haut in der Umgebung der Wunden in üblicher Weise mit der Hautentgiftungssalbe oder mit dem Brei des Hautentgif-tungsmittels zu entgiften. Gelangen hierbei geringfügige Mengen der Salbe oder des Losantinbreis in die Wunde, so wird hierdurch die Heilung nicht wesentlich beein-trächtigt. Versuche, die Wunde selbst zu entgiften, hat der Verletzte zu unterlas-sen (Körperentgiftung vor chirurgischen Eingriffen s. Ziff. 170).

104.

Chlorkalk, Losantin u. dergl. wirken bei längerem Gebrauch ätzend, sie dürfen daher nur zur kurzdauernden Entgiftungen (vergl. Ziff 102), aber keinesfalls zur Behand-lung bereits eingetretener Lostschäden verwendet werden.

 

Der Chlorkalk-, Losantin-, Chloraminbrei darf nicht in das Auge gebracht werden (Gefahr der Hornhautschädigung), ebenso nicht an die Geschlechtsteile. Für Entgif-tung im Gesicht und an den Geschlechtsteilen eignet sich besser gründlich Abwa-schen mit Seife. Die Hautentgiftungssalbe kann dagegen auch an den Geschlechts-teilen – außer Eichel – Anwendung finden.

105.

Bei großflächiger Hautvergiftung, z.B. durch einen Lostschwaden oder nach weitge-hender Vergiftung von Bekleidungsstücken durch abgeregneten Kampfstoff, ist Sei-fenwaschung das zweckmäßigste Entgiftungsverfahren.

 

Eine gleiche Wirkung wie die Seife besitzen hautschonende Reinigungsmittel wie "Satina" oder "Praecutan". Die Entgiftungswirkung der Seife wird erhöht durch Zu-satz von 5% Chloramin. Die Chloraminlösungen sollen nicht älter als einen Tag sein, da sie beim Stehen an Wirksamkeit verlieren; am haltbarsten ist die MS-Seife-Chlor-aminlösung.

 

Vorschrift für eine Chloraminlösung:

  Mit Seife (Schmierseife od. MS-Seite) 1000 g
  oder "Satina" 1000 g
  oder "Praecutan" 1000 g
 

wird eine wässerige Lösung von 4 Liter hergestellt (= 25-prozentige Lösung). Dann werden 200 g Chloramin zugesetzt und aufgelöst.

 

An dieser Stelle kann auch Hautentgiftungssalbe, die dann mit Wasser 1 : 1 ver-dünnt werden muß, für die allgemeine Körperentgiftung verwendet werden.

 

Nach Einreiben der vergifteten Hautstellen oder des Körpers mit einer dieser Lösun-gen wird gründlich mit Wasser abgespült.

106.

Sind Hautentgiftungsmittel, Seife oder hautschonende Reinigungsmittel nicht genü-gend vorhanden, so kann versucht wedren, durch organische Lösungsmittel den Kampfstoff aus den obersten Hautschichten herauszulösen. Zweckmäßig ist wieder-holtes Abspülen mit organischen Lösungsmitteln (nicht Eintauchen in Behälter mit Lösungsmitteln !). Stehen Lösungsmittel nicht in hinreichender Menge zur Verfü-gung, dann wird der Kampfstoffspritzer zunächst abgetupft (s. Ziff. 102), dann wird Mullstoff, Leinen oder dergl. mit dem Lösungsmittel schwach getränkt und die ver-giftete Hautstelle mehr-mals, wenn möglich mit zwei- bis dreimal erneuertem Tupfer, abgetupft; Abreiben ist zu vermeiden, Gefahr der Verschmierung ! Auch dürfen keine mit organischen Lösungsmitteln getränkten Verbände angelegt werden. Mullstoff oder Leinen werden nach dem Gebrauch vergraben, da der im Lösungsmittel enthal-tene Kampfstoff nur gelöst, aber nicht vernichtet ist.

 

Diese vorbeugende Behandlung ist nur innerhalb zehn Minuten wirksam. Brauchbar als Lösungsmittel sind besonders Tetrachlorkohlenstoff, Petroleum, Brennspiritus. Motorenbenzin ist vielfach bleihaltig, es ist daher nur bei kleineren Hautbezirken an-zuwenden.

107.

Die Entgiftung der Haut von Zählosten ist grundsätzlich in gleicher Weise wie bei flüssigem Lost vorzunehmen (vgl. Ziff. 102). Jedoch ist auf die trockene Entfernung des Zählostes vor Anwendung der Entgiftungsmittel besonderes Gewicht zu legen. Diese Vorreinigung erfolgt durchmöglichst rasches, sorgfältiges Abkratzen; hierzu eignet sich auch das Taschenmesser, das anschließend sorgfältig z.B. durch Erde, entgiftet werden muß ! Organische Lösungsmittel sind nur teilweise zur Entfernung der Zähloste geeignet (brauchbar Aceton).

108.

Mit Kampfstoff vergiftete Kleidung ist so rasch wie möglich unter entsprechender Vorsicht abzulegen. Sie ist in Gasplanen oder Zeltbahnen oder mehreren Lagen Pa-pier einzuschlagen oder in mit Blech ausgeschlagenen Kisten oder Wagen der Klei-derentgiftung (Truppenentgiftungskompanie, ortsfeste Sachenentgiftungsanstalten) zuzuführen, soweit es nicht die Lage erforderlich macht, die Kleiderentgiftung be-helfsmäßig bei der Truppe vorzunehmen.

109.

Während Entgiftung nach Einwirkung von Kampfstoff auf die ungedeckte Haut nach etwa 20 Minuten keine Aussicht auf Erfolg mehr bietet (Ziff. 103), muß – wenn der Kampfstoff die Bekleidung benetzt hat und vorheriges Ablegen der Bekleidung und Körperentgiftung nicht möglich war – eine Körperentgiftung noch nach Stunden durchgeführt werden, da feinste Kampfstofftröpfchen erst nach verhältnismäßig langer Zeit durch die Uniform hindurch wirksam werden. Durch eine so späte Maß-nahme können Kampftsoffschädigungen, der Haut nicht vermieden, wohl aber bis zu einem gewissen Grade abgeschwächt werden. Im allgemeinen ist jedoch die Körper-entgiftung wirkungslos, wenn die vergiftete Bekleidung zu einem späteren Zeitpunkt als 3 bis 6 Stunden nach Vergiftung abgelegt worden ist. Zu dieser Zeit ist bereits mit den ersten entzündlichen Erscheinungen, vor allem Rötungen, zu rechnen (vergl. Ziff. 88).

110.

Liegen entzündliche Erscheinungen (Rötung) bereits vor und ist im Sinne der Ziffer 109 eine Körperentgiftung angebracht, so dürfen hierzu in vorsichtiger Weise (ohne stärkeres Reiben) Seife (Schmierseife, MS-Seife) oder besser die hautschonenden Reinigungsmittel (Satina, Praecutan) Anwendung finden. Auch die Hautentgiftungs-salbe (verdünnt 1 : 1 mit Wasser) darf herangezogen werden. Nicht mehr brauchbar ist jedoch Losantinbrei.

 

Reizmildernd wirkt nach dem Auftreten der ersten Entzündungserscheinungen Baden oder Auflegen von Kompressen mit einem Kamillenaufguß, verdünntem Kamillenex-trakt oder 3%igem Borwasser. Hiervon ist auch im Anschluß an die im ersten Absatz geforderte Hautentgiftungs Gebrauch zu machen.

111.

Größere Blasen werden durch Anstechen mit keimfreier Nadel vom Rande her geöff-net und ihres Inhalts entleert. Bei Neufüllung der Blase in den nächsten Tagen ist dies zu wiederholen. Durch Einlegen dicker steriler Seidenfäden läßt sich dauernder Abfluß der Absonderung erreichen. Sehr große Blasen eröffnet man am Rand durch einen Scherenschlag. Die Blasendecke bleibt erhalten zur Überdeckung der Wunde. Blasen unter Pflaumenkerngröße werden nicht eröffnet; kleiner Schutzverband.

112.

Zur Wiederbehandlung empfiehlt sich in den ersten Tagen eine feuchte Behand-lung, die durch Salbenbehandlung ergänzt wird. Je nach Grad und Zustand der Wun-de zwei bis viermal täglich Waschen oder bad von etwa 20 Minuten mit Kamillenauf-guß oder verdünntem Kamillenextrakt oder in Lösung von Chloramin (1 : 250), Chi-nosol (1 : 5000), Kaliumpermanganat (1 : 3000 bis 1 : 5000), Rivanol (1 : 5000 bis 1: 10 000) und dergl., von Zeit zu Zeit auch Seifenbad. In den Zwischenzeiten lok-kerer Verband mit Borsalbe oder weißer Vaseline oder Zinköl, bei starken Schmerzen 5%ige Anästhesinsalbe, jedoch nur auf kleineren Hautbezirken. Stets möglichst ste-riles Vorgehen ! Im weiteren Verlauf Verbände mit Lebertransalbe oder Zinkpaste mit Lebertran.

113.

Behandlung von Lostwunden mit Streupuder ist im allgemeinen unzweckmäßig. Führt die Kampfstoffeinwirkung nur zu Rötung, so kann zur Reizlinderung gepudert werden.

114.

Man geht zur Salbenbehandlung mit granulationsfördernden Salben (2%ige Pellidol-salbe u.a.), wenn Granulationen sichtbar werden und die Wunden sich durch Was-serstoffsuperoxydlsöung oder Seifenbäder leicht reinigen lassen.

115.

Bei starker Eiterung und Allgemeinstörungen ist unspezifische Reizkörpertherapie vorteilhaft (Tetanusantitoxin 5 – 15 ccm u.a.). Für die Nacht Dimethyl-aminophena-zon oder sonstige schmerzstillende Mittel.

116.

Die verletzte Haut ist vor Stoß und Druck zu schützen, also ruhigzustellen. Bei Hautschädigungen in der Nähe von Gelenken möglichst Ruhigstellung durch Schie-nenverband. Die ausgedehnten Schädigungen Gefahr der Narbenstruktur.

117.

Zur Entfernung von Lostspritzern aus dem Auge muß so rasch wie möglich reichli-ches Spülen und Waschen (nicht Reiben !) vorgenommen werden. Hierzu ist beson-ders geeignet 5%ige Natriumbicarbonatlösung oder 3%ige Borwasser- oder physio-logische Kochsalzlösung (1 Teelöffel Kochsalz auf einen halben Liter Wasser). Die Schnelligkeit der Maßnahme ist entscheidend ! Wenn daher die genannten Lösungen nicht bereits Vorrätig sind, muß die Augenspülung mit Wasser (Feldflascheninhalt !) vorgenommen werden ! Anschließend Einstreichen von alkalischer Augensalbe.

118.

Bei Bindehautentzündungen wirken Spülungen mit 3%igem Borwasser, 5%iger Natr-iumbicarbonatlösungm physiologischer Kochsalzlösung oder Kompressen mit Kamil-lenaufguß oder verdünnten Kamillenextrakt sehr reizmildernd. Ebenso alkalische Au-gensalbe.

  Natr.biborac. subcil. pulv.   1,0  
  Natr. bicarbonic. puriss.   2,0  
  Aqu. dest.      
  Adip. Lanae anhydr. aa 10,0  
  Vasel. alb. ad 100,0  
  Weiterhin Einträufeln 3%iger Targesinlösung.
 

Bei chronischen Zuständen Einstreichen gelber Quecksilbersalbe, die auch bei Lidek-zem, das sich oftmals ausbildet, zweckmäßig ist.

 

Bei stärkeren Augenschädigungen ist Abfluß der Absonderungen durch Offenhalten der Lidspalten zu erleichtern. Verklebung löst man mit 3%-igem Borwasser. Jeder Druck ist zu vermeiden (keine straffen Verbände !). Dunkelbrillen, Aufenthalt in ver-dunkeltem Raum.

 

Gegen starke Schmerzen Einträufeln von Novokain 2 – 4%ig mit Zusatz von Supra-renin (Herstellung: ½ bzw 1 Ampulle der in der Feldsanitätsausrüstung enthaltenen Ampullen Novokain 0,04 – Suprarenin 0,0025). Besser ist Pantocain 0,5%ig (1 Trok-kenampulle mit 0,01 Pantocain in 2 ccm Wasser). Bei Beteiligung der Iris und des Zilarkörpers rechtzeitig Atropin 1 : 100 in Tropfen oder als Augenkompretten 0,0003. Bei starken Kopfschmerzen Dimethylaminophenazon und, wenn notwendig, Mor-phin. Keine Umschläge oder Kompressen mit Pantocain !

 

Psychische Beruhigung durch Hinweis, daß Sehstörungen meist in einigen Tagen wieder verschwinden.

119.

Nach Eindringen von Kampfstoff in die Atemwege Spülung (5%ige Natrumbicarbo-natlösung), Einatmung von Wasserdampf oder versprühter Natriumbicarbonatlösung unter Zusatz von Menthol, Terpentinöl o.a. Hustenbekämpfung (Codein), Förderung des Auswurfes (Jodkali, Mixtura solvens). Inhalationen mit Zusatz von Kamillenprä-paraten, besonders mit Vetiv-Azulen (dem synthetischen Kamillenöl) 1 : 1000 in Pa-raffinlösung, haben günstige Wirkung gezeigt.

 

Gegen Fortschreiten des Krankheitsprozesses in die Tiefe des Bronchailbaumes ist unspezifische Reizkörpertherapie (Tetanusantitoxin) zweckmäßig.

120.

Für den weiteren Verlauf ist kräftige Ernährung von hohem Wert. Jedoch wird sie durch Beschwerden vom Magen aus, insbesondere durch Appetitlosigkeit, er-schwert. Leicht verdauliche, aber kalorienreiche Kost ! Milch und Obstsäfte werden meist gut vertragen.

  Gegen Durchfällle Opium, Tannalbin, Kohle.

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