II. Lungenschädigende KampfstoffeIV. Haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe
Kampfstoffverletzungen
A. Kampfstoffe
III. Blut- und nervenschädigende Kampstoffe

65.

Im Gegensatz zu den vorwiegend örtlich wirkenden Kampfstoffen liegen hier Gifte vor, die bei Einatmung die Atmungsorgane selbst nicht unmittelbar schädigen, son-dern erst nach Aufnahme in das Blut wirksam werden ("resorptiv wirksame Gifte").

a) Arsenwasserstoff

1. Chemische Angaben.

66.

Arsenwasserstoff (AsH3) ist ein farbloses, in reinem Zustand fast geruchsloses Gas. In höheren Konzentrationen bewirkt es einen faden, metallischen Geschmack. Ver-unreinigt riecht es nach Knoblauch.

 

Arsenwasserstoff entwickelt sich aus Metallarseniden, die im allgemeinen ein dunkel-graues, körniges Material darstellen, durch Einwirkung von Säuren oder Wasser (Luftfeuchtigkeit), z.B.:

 

Zn3 As2 + 6 HCl = 2 As H3 + 3 Zn Cl2

 

Arsenwasserstoff wird durch den Filtereinsatz der Gasmaske zurückgehalten.

2. Wirkung.

67.

Arsenwasserstoff übt keine örtliche Reizwirkung auf Augen, Atemwege, Lungen oder die Haut aus. Besonders charakteristisch ist die hämolytische Wirkung. Die Blutkör-perchen werden unmittelbar geschädigt, ihre osmotische Resistenz schon bei ge-ringgradiger Einwirkung des Giftes herabgesetzt. Leber, Niere und Zentralnervensys-tem werden mittelbar infolge Anoxamie und durch die Hämolyseprüdukte betroffen, es kommt aber auch eine unmittelbare Giftwirkung bei hohen Konzentrationen in Frage.

3. Vergiftungsbild.

68.

Ein niedriger Arsenwasserstoffgehalt der Luft bewirkt erst nach längerer Einwirkung (Stunden) Vergiftungserscheinungen, die sich schleichend entwickeln. Es kommt zunächst zu unbestimmten Erscheinungen, wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopf-schmerzen, Rückenschmerzen – oft Übelkeit und Erbrechen, kolikartigen Bauch-schmerzen, schließlich treten im Harn, Blut und vermehrte Ausscheidung von Gallen-farbstoffen auf. Eiweiß im Harn kann auf Nierenschädigungen hindeuten.

 

Bronzerote Hautfarbe tritt vielfach frühzeitig auf. Gelbsucht wird meist erst an den folgenden Tagen beobachtet. Gelegentlich auftretendes blutiges Erbrechen und Durchfall deuten auf Beteiligung des Magen-Darmkanals hin.

 

Im Blutz ist zu Beginn der Vergiftung gelegentlich eine leichte Vermehrung, bald aber mehr oder weniger starkes Absinken der roten Blutkörperchen zu verzeichnen, das auf die starke Hämolyse zurückzuführen ist. Hand in Hand mit dem Zerfall der roten Blutkörperchen geht zunehmende Atemnot, die unter Erstickungskrämpfen zum Tode führen kann. Im späteren Verlauf der Vergiftung kommt es zu Harnverhaltung, oft bis zu völliger Anurie. Hierdurch kann der Tod nach längerer vorhergehender Be-wußtlosigkeit, manchmal auch nach Krämpfen eintreten.

 

Bei hohem Kampfstoffgehalt der Luft kommt es innerhalb kurzer Zeit zu beträchtli-cher Methämoglobinbildung (Cyanose, dunkelbraunes Blut). Es kann bei gleichzeiti-gen zentral nervösen Störungen zu tödlichem Verlauf der Vergiftung innerhalb weni-ger Stunden kommen, bevor die Auflösung der Blutkörperchen deutlich geworden ist. Verwirrungszustände, an die sich rasch Kollaps und Koma anschließen, gehen hier dem Tode voran.

4. Erkennung der Vergiftung.

69.

Das Bild des hämolytischen Ikterus kann durch Arsenwasserstoff, Phenylhydrazin und ähnliche Substanzen hervorgerufen werden. Ähnliche Krankheitsbilder werden auch bei epidemischer Gelbsucht beobachtet. Zur Erkennung der Arsenwasserstoff-vergiftung kann neben der Ermittlung der Vergiftungsursache dienen: der rot bis schwarzlich Braun verfärbte Harn, Harnverhaltung, ikterische oder bronzene Haut-verfärbung, Druckempfindlichkeit der Nieren- und Harnblasengegend. Im Blutbild je nach Schwere der Vergiftung schnelles und starkes Absinken der roten Blutzellen und der Hämoglobins; Färbeindex in der Regel über 1.

5. Behandlung.

70.

Im Anfangsstadium der Vergiftung Aderlaß mit nachfolgender Transfusion von Voll-blut; bei starken Graden von Anämie Bluttransfusion ohne vorherigen Aderlaß, gege-benenfalls in den nächsten Tagen Wiederholung. Zur Aufrechterhaltung der Diurese reichlich Flüssigkeitszufuhr und Theobromin-Natrium salicylicum 0,5 bis 1,0. Wärme-zufuhr in der Nierengegend. Als Leberschutz 10 prozentige Glucoselösung 20 – 50 ccm intravenös mit 4 – 6 E Insulin. Bei starker Anoxämie Sauerstoffzufuhr. Kreislauf-schwäche ist mit Analeptica (Cardiazol, Cormed, Sympatol) zu behandeln. Bei der Nachbehandlung sind besonders Leberpräparate zur Anregung der Blutbildung ange-zeigt.

b) Blausäure

1. Chemische Angaben.

71.

Blausäure, Cyanwasserstoff, HCH, farblose Flüssigkeit von kratzendem, eigenartigem Geruch; leicht löslich in Wasser, Alkohol, Äther. Außerordentlich flüchtig (Kochpunkt bei 72°).

72.

In geringen, meist belanglosen Mengen tritt Blausäure bei der Detonation von Ge-schossen und beim Abschuß der Treibladung auf.

 

Im Weltkrieg 1914/18 ist es unseren Gegnern nicht gelungen, die Blausäure (trotz der hohen Giftigkeit) im Freien in wirksame Konzentrationen zu bringen. (Von franzö-sischer Seite wurden Mischungen von Cyanwasserstoff mit Arsentrichlorid = Manga-nite und von Cyanwasserstoff mit Zinntetrachlorid = Vincennite angewandt.)

 

Trotzdem muß mit Einsatz der Blausäure oder ihren Abkömmlingen oder von Kampf-stoffen mit ähnlich schneller Wirkung durch unsere Gegner weiterhin gerechnet wer-den. Abgesehen von den Nitrilen gehören hierher auch Chlorcyan und Bromcyan, de-nen neben einer abgeschwächten balusäureartigen Wirkung deutliche Reizwirkung auf Auge und empfindliche Hautstellen zukommt.

2. Wirkung.

73.

Fermentative oxydative Lebensvorgänge – die innere Atmung – werden durch Blau-säure gehemmt, so daß die Gewebe gehindert werden, den Sauerstoff des Blutes für die Oxydation auszunutzen. Die Gewebe ersticken trotz reichlicher Sauerstoffzufuhr. Bei der Blausäurevergiftung kommt es also zur inneren Erstickung.

 

Am empfindlichsten gegenüber Blausäure ist das Atemzentrum, es wird zuerst stark erregt, dann schnell gelähmt. Tod durch Atemstillstand bei noch schlagendem Her-zen.

3. Vergiftungsbild.

74.

Große Dosen bewirken schnellen, schlagartigen Tod. Die Betroffenen stürzen zusam-men und gehen bei rasch zunehmender Atemnot, Erbrechen und Krämpfen in weni-gen Minute zugrunde.

75. Bei mittleren Dosen unterscheidet man drei Stadien:
  1.

Stadium der Atemnot: Beginn mit Beklemmung, Schwindel, Taumeln, Erbrechen. Atmung beschleunigt, angestrengt. Allgemeine notorische Unruhe und Angstge-fühl.

  2.

Krampfstadium. Die Betroffenen brechen zusammen und verfallen in starr-krampfähnliche Zustände und epileptiforme Zuckungen. Unwillkürliche Kot- und Harnentleerung.

  3.

Stadium der Erstickung: Bei verflachender und schließlich aufhörender Atmung Blausucht, Bewußlosigkeit, Sinken der Körperwärme, Verlangsamung des Herz-schlages, Tod durch Lähmung der Atmung.

76.

In geringen Konzentrationen meist neben Kratzgefühl im Halse nur Taumeln und Schwindelgefühl, auch Bewußlosigkeit von kurzer Dauer. Wiederherstellung in leich-ten Fällen auffallend rasch.

4. Erkennung der Vergiftung.

77.

Abgrenzung gegenüber den sonstigen Kampfstoffvergiftungen: Keine nennenswerte Reizung der Augen und Schleimhäute. Schnelligkeit der Wirkung. Hervortreten ner-vörser Erscheinungen.

5. Behandlung.

78.

Entfernung aus dem Giftbereich. Bei Atemstillstand sofort künstliche Atmung. Diese muß noch nach vermeintlichem Herzstillstand so lange fortgesetzt werden, bis si-chere Todeszeichen vorliegen. Auch Sauerstoffbehandlung hat sich praktisch be-währt. Cardiazol oder Cormed intravenös oder intramuskulär (Dosierung vergl. Ziff 48), auchLobelin 0,01 subkutan, besser 0,003 intravenös kommt in Frage. Gegebe-nenfalls Wiederholung der Einspritzungen 2 – 3 mal innerhalb einer Stunde. Trauben-zucker intravenös. Bei Erwachen aus tiefer Bewußtlosigkeit noch ununterbrochene Beobachtung mindestens 24 Stunden.

 

Außer den genannten Behandlungsmaßnahmen kann intravenöse Zufuhr von Natri-umnitrit und Natriumthiosulfat versucht werden. Hierdurch soll Entgiftung in Blut und Gewebe möglich werden. Durch die Anwendung dieser Mittel wird nach bisherigen Erfahrungen die Erholung nicht zu schwerer Fälle beschleunigt, falls frühzeitig genug damit angefangen wird.

 

Natriumnitrit in3%iger Lösung 10 – 20 ccm, Natriumthiosulfat in 50%iger Lösung 50 – 70 ccm intravenös. Beide Lösungen langsam, 2,5 – 5 ccm in der Minute, einsprit-zen.

  Bei Natriumnitrit ist Überdosierung gefährlich.

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