D. Schädigung der Lebensmittel durch chemische KampfstoffeF. Behlfsmäßiges Entgiften von Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen und Geräten
Kampfstoffverletzungen
E. Ärztliche Grundsätze für die Versorgung von Kampfstoffverletzten

195.

Die Regelung des Sanitätsdienstes ist für die Rettung und Versorgung von Kampf-stoffverletzten ganz besonders wichtig.

196.

Auf die Erkennung des einwirkenden Kampfstoffes ist Wert zu legen, da hierdurch nicht nur die Behandlungsweise, sondern auch allgemeine sanitäts-dienstliche Maß-nahmen beeinflußt werden. Abgesehen von den Erscheinungen, die der Kampfstoff-verletzte zeigt, wird für die Erkennung der Kampfstoffart kurze Befragung des Kampfstoffverletzten über die Umstände, die zur Vergiftung geführt haben, einen Anhalt geben (vergl. Ziff. 33). Auch die Feststellung des Zeitpunktes der tatsächli-chen oder vermeintlichen Kampfstoffeinwirkung ergibt unter Berücksichtigung der Latenzzeit, die für viele Kampfstoffe charakteristisch ist, einen wichtigen Hinweis. An Verwendungsmöglichkeiten mit andersartigen Einwirkungen ist zu denken, z.B. an über-mäßige Sonnenbestrahlung, Einwirkung irgendwelcher erbeuteter Chemika-lien, unsachgemäße Anwendung von Entgiftungsmitteln, Durchtränkung der Kleidung mit Kraftstoffen u. dergl., aber auch an andere Erkrankungen. Auch muß daran gedacht werden, daß Einzelne, die bewußt übertreiben oder unbewußt die Wirkung der Kampfstoffe überschätzen, zu Unrecht die Truppe verlassen.

 

Zur Erkennung des einwirkenden Kampfstoffes im Gelände dienen die Gasspürmittel und der Gasanzeiger (vergl. H.Dv. 395, M.Dv.Nr. 395, L.Dv. 95 Teil 11 a und 13).

197.

Nach Erkennung der Art und Schwere der Kampfstoffverletzungen ist schon vom Truppenarzt eine klare Trennung der Kampfstoffverletzten in folgende Gruppen an-zustreben:

  a)

Kampfstoffverletzte, die nach kurzdauernder Behandlung in den vorderen Sani-tätseinrichtungen in der Regel wieder zur kämpfenden Truppe zurückgeschickt werden können.

    Hierzu gehören:
    1.

Schädigungen durch Einwirkung von Augenreizstoffen und Nasen- und Ra-chenreizstoffen.

    2.

Kleine Verletzungen durch haut- und schleimhautschädigende Kampfstoffe z.B. unbedeutende Reizungen an Augen und Atmungsorganen; an der Haut vereinzelte Blasen bis etwa Wallnußgröße.

  b)

Kampfstoffverletzte mit Lungenschädigungen, z.B. nach Einatmung größerer Mengen lungenschädigender (Phosgengruppe) oder haut- und schleimhautschä-digender Kampfstoffe (Lostgruppe).

   

Besonders bei Kampfstoffverletzten mit toxischen Lungenödemen ist zu prüfen, was vorzuziehen ist: eine immer mit Muskelbewegung des Kampfstoffverletzten verbundene und daher unter Umständen für den Krankheitsverlauf ungünstige Abbeförderung mit der Sicherheit, daß der Kranke in geregelte Pflege kommt, oder vollkommene Ruhe an Ort und Stelle, wobei unter Feldverhältnissen auf vollwertige Pflege und Versorgung verzichtet werden muß. Im Zweifelsfall ist die letztere Maßnahme vorzuziehen. Abtransport muß jedoch rasch und schonend erfolgen, keinesfalls auf dem Höhepunkt des Lungenödems.

  c)

Kampfstoffverletzte nach Arsenwasserstoffeinwirkung. Läßt hier zunehmendes Schwächegefühl, beginnende Atemnot, bräunliche Verfärbung des Harns einen starken Vergiftungsgrad erwarten, ist rascher Abtransport über die Sanitäts-kompanie zum Feldlazarett anzustreben.

  d)

Kampfstoffverletzte, die nach stärkerer Einwirkung von haut- und schleimhaut-schädigenden Kampfstoffen der Lazarettbehandlung bedürfen.

   

Diese werden in vielen Fällen marschfähig sein, oft wird sitzender Transport ge-nügen.

   

Da Kampfstoffverletzte mit vergifteter Bekleidung infolge Abdunsten des Kampf-stoffes sich selbst oder andere weiter gefährden können, darf ihre Beförderung in geschlossenen Krankenwagen oder ihre Aufnahme in Zelte und Räume vor der Entgiftung nicht erfolgen.

198.

Wenn es die Lage irgendwie erlaubt, ist Klärung der oft auftauchenden Frage, ob Kampfstoffeinwirkung überhaupt vorliegt oder nicht, bei den vorderen San.-Einrich-tungen herbeizuführen. Es sollen als derartige Beobachtungsfälle nicht in Lazarette abgeschoben werden, sondern in geeigneter Form in Beobachtung des Truppenarz-tes oder der Sanitätskompanie oder an Bord im Gaslazarett bleiben. Im allgemeinen genügt Beobachtung von 6 bis 12 Stunden, da die ersten Krankheitserscheinungen auch bei Kampfstoffen mit langer Latenzzeit nur ausnahmsweise noch später auftre-ten.

 

Bei allen Leuten, bei denen der Truppen- bzw. Schiffsarzt objektive Krankheitszei-chen nicht feststellen kann, die er aber wegen angeblicher Beschwerden zum Hauptverbandplatz (bzw. zum Gefechtsverbandplatz an Bord der Schiffe) zurück-senden zu müssen glaubt, muß auf dem Begleitzettel für Kampfstoffverletzte der Vermerk "angeblich" neben der genauen Zeit der angegebenen Kampfstoffeinwirkung vermerkt werden. Also nicht "Kampfstoffverletzung" schreiben, sondern "Beschwer-den angeblich nach Kampfstoffeinwirkung".

 

Kommt die Einwirkung lungenschädigender Kampfstoffe in Frage, so sollen auch die Beobachtungsfälle nach Möglichkeit keine größeren Entfernungen zu Fuß zurückle-gen.

199.

Auch Soldaten, die in stärkerem Grade ohne Gasschutz Nasen- und Rachenreizstoffe ausgesetzt waren, sollen zunächst nicht abgeschoben werden. Wenn Beschwerden auf der Brust innerhalb 12 – 24 Stunden nicht zurückgegangen sind, ist jedoch Nachuntersuchung notwendig.

200.

Lungengeschädigten sind vor der Abbeförderung Herzmittel zu verabreichen. Hier ist die Anwendung des Oleum camphoratum forte i. m. als Depot zweckmäßig (vergl. Ziff. 48).

 

Die Verabreichung von Sauerstoff während des Transportes wird nur in Fällen ein-zelner Kampfstoffverletzungen möglich sein.

 

Auf die Wichtigkeit des rechtzeitigen Ersatzes verbrauchten Sauerstoffes wird hin-gewiesen.

201.

Lungengeschädigte sollen stets getrennt von anderen Verletzten gelagert und un-tergebracht werden.

202.

Alle Einspritzungen sind auf dem Begleitzettel für Kampfstoffverletzte mit Zeit und Mengenangaben zu vermerken.

203.

Besonderer, oft behelfsmäßiger Maßnahmen bedarf die Versorgung der Kampfstoff-verletzten nach Einwirkung von haut- und schleimhautschädigenden Kampfstoffen. Für den Grad der zu erwartenden Schädigungen ist raschestes Ablegen der vergif-teten Bekleidungsstücke und frühzeitigste Körperentgiftung von entscheidender Bedeutung. Falls daher nicht bereits bei der Truppe durchgeführt, muß beides in den Sanitätseinrichtungen durchgeführt werden. Bei Kampfstoffeinsatz muß daher am Truppenverbandsplatz die Möglichkeit zur behelfsmäßigen Körperentgiftung vorberei-tet sein; Bereitstellung 1. von Wasser in Eimern, wenn möglich in Gießkannen, 2. von Seifenlösung (Schmierseite, MS-Seife) oder von hautschonenden Reinigungs-mitteln (Satina, Praecutan), 3. von Chloramin. An Stelle von 2. und 3. kann eine größere Menge der Hautentgiftungssalbe Verwendung finden. Durchführung der Hautentgiftung nach Ziff. 105.

 

Die kämpfende Truppe wird nicht am Truppen- oder Hauptverbandplatz oder in La-zaretten, sondern durch die Tr.-Entg.-Komp. oder durch eigene Entgiftungstrupps entgiftet.

204.

Ebenso ist Entgiftung der Bekleidungsstücke von Kampfstoffverletzten oder Ver-wundeten nicht Sache des Truppenarztes oder San.-Kompanie. Vergiftete Beklei-dung wird in Gasplanen eingeschlagen und durch die Truppe den für die Bekleidungs-entgiftung zuständigen Einrichtungen (ortsfeste Entgiftungsanlagen, Truppenent-giftungskompanien) zugeführt. In gleicher Weise wie die Truppe selbst muß jedoch auch Truppenarzt bzw. Schiffsarzt und San.-Kompanie in der Lage sein, die Beklei-dungsstücke des San.-Personals behelfsmäßig zu entgiften. Für Ersatzbekleidung (mindestens Drillichzeug) für das San.-Personal muß Sorge getragen sein. Techni-sche Einzelheiten vergl. Abschnitt F. Das gleiche gilt für San.-Gerät, z.B. Kranken-tragen und Krankenkraftwagen.

205.

Der Entgiftungsplatz soll etwa 100 bis 200 Meter vom eigentlichen Truppen- oder Hauptverbandplatz entfernt sein, so daß weder eine Belästigung anderer Verletzter noch die Möglichkeit der Verschleppung von Kampfstoff entsteht.

 

Auf der Entgiftungsstelle ist nach reiner und unreiner Seite zu trennen.

206.

Auch beim Feldlazarett ist die Anlage eines Entgiftungsplatzes erforderlich, beson-ders dann, wenn auch hinter der Front mit feindlichem Kampfstoffeinsatz zu rechnen ist.

207.

Bei allen Entgiftungsmaßnahmen ist an den eigenen Schutz zu denken.

 

Die Gasmaske ist aufzusetzen, die leichte Gasbekleidung oder die Gaskittelbeklei-dung anzulegen; notfalls ist eine Gasplane in geeigneter Weise umzubinden. Falls Gummihandschuhe verbraucht, bietet gründliches Einreiben der Hände mit der Haut-entgiftungssalbe einen gewissen Schutz. Nach der Hilfeleistung bei Entgiftungsmaß-nahmen ist Hautentgiftung nach Ziff. 105 vorzunehmen.

208.

Jedes Lazarett muß grundsätzlich in der Lage sein, Kampfstoffverletzte aufzuneh-men.

209.

Bei größerem Zustrom von Kampfstoffverletzten werden Lazarette oder Abteilungen für Kampfstoffverletzte eingerichtet. Neben einem besonderen, gut lüftbaren Auf-nahmeraum sollen dort getrennte Räume für Schwerkranke und – falls solche aus-nahmsweise überhaupt in Lazarette kommen – für Beobachtungsfälle vorgesehen werden.

210.

Die Krankengeschichten über Kampfstoffverletzte sind sorgfältig zu führen. Alle be-sonderen Wahrnehmungen über die Zeit des Kampfstoffeinsatzes, die Art und Wir-kung des Kampfstoffes sowie auch Angaben über die Kampfstoffanwendung des Gegners sind aufzunehmen.

D. Schädigung der Lebensmittel durch chemische KampfstoffeF. Behlfsmäßiges Entgiften von Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen und Geräten